Reform des BVG-Obligatoriums: Durch Umbauen Platz schaffen und modernisieren

Die wichtigsten Probleme als Ausgangslage

Die Lebenserwartung im Alter 64/65 ist gemäss BFS seit der Einführung des BVG-Obligatoriums 1985 stark gestiegen, von 19,9 auf 23,4 Jahre für Frauen und von 14,9 auf 19,7 Jahre bei Männern; die Tendenz zeigt weiter nach oben.
Die Kapitalmarktzinsen sind über die letzten 15 bis 20 Jahre drastisch gesunken.

Diesen Entwicklungen wurde aber mit der Senkung des rentenbildenden Umwandlungssatzes  von initial 7.2 auf  heute deutlich zu hohen 6.8 %  nicht annähernd Rechnung getragen. Dies hat zu im Kapitaldeckungsverfahren systemwidrigen Umverteilungen von den Aktiven zu den Rentnern geführt.  Je nach Studie betragen diese inzwischen jährlich rund 6 bis 8 Milliarden Franken, mit eher steigender Tendenz.

Da die Kapitalmarktzinsen schwanken und auf längere Sicht nicht prognostizierbar sind, führt  die einmalige Fixierung des Satzes  für den einzelnen Versicherten immer zu überhöhten oder zu tiefen Renten (rückblickend gesehen). Ein Entscheid für die Rente ist zudem unnötigerweise gekoppelt mit einem erzwungenen Verzicht auf das beim Tod nicht verbrauchte Alterskapital  (=  Zwangssolidarität).

Dies führt insgesamt zu gravierenden Nachteilen wie auch Fehlanreizen, da auch sich ändernden Situationen und Präferenzen beim Versicherten nicht mehr Rechnung getragen werden kann.

Zusätzlicher Reformbedarf ergibt sich aus der stark  veränderten Gesellschaft:
Dem BVG lag ursprünglich ein Modell mit einem Vollzeiteinkommen pro Haushalt und gedachter lebenslanger Ehe zugrunde. Diese  hat sich seither stark gewandelt hin zu mehr Doppelverdienern und mehr Teilzeiterwerb, mehr Patchwork Familien und auch mehr Alleinlebende.

Zielsetzungen dieser Reform

Um diese Probleme nachhaltig zu lösen und die 2. Säule wieder langfristig ins Gleichgewicht zu bringen und dadurch zu stabilisieren, braucht es einen  echten Umbau und nicht nur eine kosmetische Renovation. Dieser soll insbesondere folgenden Ansprüchen genügen:

  1. Die Rentenermittlung passt sich laufend und automatisch sich ändernden Rahmenbedingungen an.
  2. Aktive und Rentner werden möglichst gleich und damit fair behandelt.
  3. Dem Charakter und Ziel eines Obligatoriums entsprechend werden alle Erwerbstätigen vollständig versichert und jede versicherte Person erhält mit der Pensionierung eine individuelle, eigenständige Rente.
  4. Sie sorgt für ein ausreichendes Alterskapital und dessen Schutz.
  5. Sie stärkt die Rente als weitaus bessere Variante des Leistungsbezuges, sodass der Kapitalbezug zweite Priorität wird und (allenfalls unter Auflagen) auch weiterhin zugelassen werden kann.
  6. Durch Wahlmöglichkeiten der Versicherten kann die Rente sich ändernden Lebensformen und Präferenzen etappenweise angepasst werden (und verhindert so mögliche Fehlanreize).

Voraussetzungen für eine solche Reform

Um Raum zu schaffen für eine moderne und verständlichere Lösung mit maximalem  Erfolg und  Wirkung sind 3 Massnahmen notwendig:

  1. Bei der Pensionierung von (Ehe)Partnern wird analog zu einer Scheidung ein Vorsorgeausgleich vorgenommen. Damit erhalten beide Beteiligten eine eigenständige Rente mit den neu geschaffenen Wahlmöglichkeiten. Dadurch entfällt für Unverheiratete das nicht mehr zeitgemässe Mitfinanzieren von  Hinterlassenen Renten. Allein dadurch steigt die Rente im Vergleich zu heute für alle je nach Umwandlungssatz um 8 bis 12 %.
  2. Die Rente ab dem 91. Altersjahr wird neu durch eine obligatorische Poollösung sichergestellt (für kleinere Kassen als Gemeinschaftslösung). Die Finanzierung erfolgt durch eine Einmalprämie aus dem Alterskapital von geschätzten rund 1 bis 1.5 %, (je nach angenommener Verzinsung).
    Das heisst nichts anders, als dass die heutige Lösung mehr oder weniger nach hinten geschoben wird und ab Alter 90 angewendet wird
  3. Die noch notwendigen Kinder- und Waisenrenten werden neu durch  eine separate lohnabhängige Prämie finanziert.

Der Kern dieser Reform

Ohne das Problem der Langlebigkeit und der Hinterlassenen-Leistungen wird eine im Vergleich zu heute wesentlich bessere und einfachere Lösung möglich. Zunächst wird der Renten-(Kapital)entscheid auf Etappen von beispielsweise 5 Jahren fixiert und läuft jeweils nach folgendem Schema ab:

  1. Die jährliche, fixe Basisrente pro Etappe ergibt sich aus dem aktuell vorhandenen Alterskapital dividiert durch die Differenz des aktuellen Alters zum Alter 90. Beispiel: Das Alterskapital wird im Alter 65 durch 25 (90-65) dividiert, was einen Umwandlungssatz von 4% entsprechen würde.
  2. Als 1. Wahlmöglichkeit kann ein Versicherter für den Fall seines (vorzeitigen) Todes  ganz   oder teilweise auf den ihm zustehenden,  nicht aufgebrauchten Teil seines Alterskapitals verzichten. Dafür gewährt ihm seine Kasse einen kassenspezifischen, aber einheitlichen Zuschlag (=Erbverzichtszuschlag). Dieser erreicht versicherungstechnisch und  etappenabhängig im Maximum 1.2 bis 1.6 %,  was zu einer garantierten Rente von insgesamt 5.2 bis 5.6 % führt (immer noch ohne Verzinsung!).
  3. Anstelle der im heutigen Umwandlungssatz implizit enthaltenden Zinsgarantie erhält jede versicherte Person jährlich eine variable Netto-Dividende. Die Netto- Dividende entspricht dem ganzen effektiv erzielten Nettogewinn der Kasse, abzüglich einer Risikoprämie von ca. 1.5 % für den garantierten Kapitalerhalt mit einem Minimum von Null.

Als 2. Wahlmöglichkeit kann jetzt jeder Versicherte noch pro Etappe individuell festlegen, welcher (prozentuale) Anteil  dieser  Dividende ihr davon jährlich ausbezahlt wird. Der Rest erhöht als Sparbeitrag das Alterskapital für die nachfolgenden Etappen.

Mit diesem relativ einfachen und gut nachvollziehbaren Verfahren  passt sich
einerseits die Rentenermittlung  laufend und automatisch sich ändernden realen  Rahmenbedingungen an und andererseits kann jeder Versicherte, der dies will, pro Etappe seine Rentenhöhe mit beeinflussen. Für die übrigen Versicherten gelten vordefinierte Standardwerte.

Durch diese Lösung ist auch sichergestellt, dass Aktive und Rentner den ganzen erzielten Netto-Überschuss anteilmässig gleich und damit fair zugeteilt erhalten.

Das  Kapital kann ebenfalls etappenweise bezogen werden, allenfalls mit Einschränkungen oder Auflagen  bezüglich Ergänzungsleistungen.

Notwendige Zusatzfinanzierungen

Damit  die 2. Säule (zusammen mit der 1. Säule) auch weiterhin  eine angemessene Lebenshaltung im Rentenalter ermöglicht, braucht es zusätzliche Mittel. Dies vor allem, weil die längere Rentenphase und die seit längerem tiefen Kapitalmarktzinsen nicht ausschliesslich über einen höheren Rentenbeginn aufgefangen werden kann.

Dazu werden das Eintrittsalter und die Eintrittsschwelle  wie bei der der AHV  festgelegt (18 Jahre und CHF 2‘300.–) und der Koordinationsabzug wird vollständig gestrichen.

Das tiefere  Eintrittsalter von 18 Jahren  bringt sieben zusätzliche Beitragsjahre, was unverzinst neu bei einem Lohn von  CHF 25‘000.– zu einer  Erhöhung des Alterskapitals von CHF 21‘000.- führt (Beitragssatz 12%, siehe Kapitel zeitgemässe Beitragsstruktur). Bei einem Bruttolohn von CHF 85‘000. — steigt dieses sogar um mehr als CHF 71‘000.– Dies sind sozusagen die wertvollsten Beitragsjahre, da sich der Zinseszinseffekt hier am stärksten auswirkt. So ist der Sparbeitrag eines 20 Jährigen rund doppelt so viel „wert“ wie der gleiche Beitrag eines 55 Jährigen (bei rund 2 % Verzinsung).

Das Streichen des Koordinationsabzugs bringt für jede versicherte Person ab einem Bruttolohn ab CHF 25‘000.- bei einem Beitragssatz von 12% einen zusätzlichen jährlichen Sparbeitrag von CHF 3‘000.-,  was bei heute 41 Beitragsjahren zu einer deutlichen Erhöhung des Alterskapitals um CHF 123‘000.- führt. Dies entspricht bei einem konstanten Lohn von CHF 50‘000.- praktisch einer Verdoppelung des Alterskapitals im Alter 65.
Diese Massnahme liefert den grössten Teil der zusätzlichen Mittel für das Obligatorium. Die effektiv zusätzlichen Kosten fallen aber wesentlich tiefer aus, da für einen Teil der Versicherten bereits das tiefere Eintrittsalter gilt und/oder der Koordinationsabzug bereits heute entfällt. Zudem werden teilweise bereits auch höhere Sparbeiträge geleistet. Alle diese Komponenten können damit ohne Zusatzkosten in das Obligatorium „umgebucht“ werden und stellen keine zusätzliche Belastung dar.

Durch diese Massnahmen werden letztendlich alle Erwerbstätigen, einschliesslich Teilzeiterwerbende,  auch in der 2. Säule versichert. Zudem wird dadurch  auch die aus sozialpolitischer Sicht wichtigste Erwerbsgruppe versichert und so eine grosse Lücke geschlossen. Das Teil- und Scheinobligatorium wird zu einem echten Obligatorium. Dies führt ausserdem dazu, dass im Rentenalter weniger Ergänzungsleistungen anfallen.

Zeitgemässe Beitragsstruktur

Die Altersgutschriften betragen neu jährlich konstant 12 % des versicherten Lohnes über die gesamte Erwerbsphase bis zum ordentlichen Pensionierungsalter von heute 65 Jahren, d.h. während der ganzen 48 Jahre.

Neu steigen die Beiträge des Arbeitnehmers  mit zunehmendem Alter sukzessive an.  Umgekehrt sinken diese für den Arbeitgeber  aber mit zunehmendem Alter des Arbeitnehmers sukzessive.
Das folgende Beispiel illustriert dies als eine von vielen möglichen Varianten:

* Heute sind es insgesamt 518 Lohnprozente. Bei den heutigen 41 Beitragsjahren würden die gesamten Lohnprozente mit 492% (41 x 12%) tiefer ausfallen. Dies wird beim Alterskapital aber an sich  kompensiert durch den höheren Beitrag des Zinseszinses. Ohne Verzinsung wären 12,63 % (518/41) gleichwertig. Dank der längeren Beitragsdauer von 7 Jahren kommen aber noch 84 Lohnprozente zusätzlich dazu, so dass insgesamt die 576 % resultieren.

Dadurch entfällt für ältere Arbeitnehmende auf dem Arbeitsmarkt der Nachteil  der (zu) hohen Sozialversicherungsbeiträge. Umgekehrt profitieren junge Arbeitnehmer, da für sie in einer Lebensphase mit oft anderen Prioritäten nur kleinere Abzüge anfallen.

Dank dem Wegfall des Koordinationsabzugs ermöglicht dies auch einen kurzen Übergang von 5 – 6 Jahren ins neue System. Dies ohne Einbussen beim Alterskapital selbst für die 55 – 65 Jährigen, wenn z. B. der Arbeitgeberanteil während 6 Jahren um jeweils 1 %  (von 9 % auf 3 %) reduziert wird.

Wichtige Merkmale und Vorteile der Reform für die Versicherten

Beim Rentenbezug können die Versicherten selber über den Grad des Erbverzichts bestimmen, um wieviel  sie durch diese freiwillige Solidarität ihre garantierte Rente pro Etappe entsprechend erhöhen wollen (oder müssen).

Durch das Aufteilen der Rente in die verschiedenen Komponenten wird die Berechnung für den Versicherten wesentlich verständlicher und besser nachvollziehbar.

Aktive und Rentner werden gleich behandelt, da diese ungeplante Umverteilung gestoppt wird und dadurch kann auch der Leistungsbeginn  grundsätzlich flexibler gestaltet werden.

Das überholte Modell der durch alle finanzierten Hinterbliebenenrente wird abgelöst (aufgewertet) durch eine zeitgemässe eigenständige Rente des Partners ab Pensionierung.

Das Kapital kann auch ohne Erwerbstätigkeit im System der 2. Säule bleiben, wird professionell zu tieferen Kosten verwaltet und geniesst erst noch Kapitalschutz.

Mit dieser Lösung entfällt auch der gravierende Nachteil des heute einmaligen, unwiderruflichen Entscheides, Rente- oder Kapitalbezug. Für jede Etappe kann aufgrund von sich ändernden Präferenzen und Prioritäten die wählbaren Parameter neu festgelegt werden.

Insgesamt wird durch diese Reform der Bezug als Rente deutlich vorteilhafter, was durchaus dem Sinn des Obligatoriums  entspricht.

Über die  gewünschte Wiederanlagequote der variablen Dividende  können die Versicherten selber bestimmen, welchen Anteil sie ausbezahlt haben wollen und welchen Teil sie für spätere Etappen zurücklegen wollen.

Die Zusatzfinanzierung ist zwar nicht gratis zu haben, aber sie führt aufgrund des tieferen Eintrittsalters und den Sparbeiträgen auf dem gesamten AHV-pflichtigen Lohn (bis zu heute geltenden Obergrenze) zu einem wesentlich höheren Alterskapital. Zusammen mit der 1. Säule  ermöglicht das vermehrt auch die Weiterführung eines angemessenen Lebensstandards auch im Tieflohnsegment.

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